Wir haben uns heute hier versammelt, um jener zu gedenken, jene zu ehren, die Opfer des Völkermords im Jahre 1915 geworden sind. Wir wollen der Opfer gedenken, von denen keine Gräber zeugen, an denen wir trauern könnten.

Umso wichtiger ist es, dass es symbolische Orte des Gedenkens gibt, wie die Ökumenische Gedenkstätte hier in Berlin. Sie wurde von der Fördergemeinschaft für eine ökumenische Gedenkstätte für Genozidopfer im Osmanischen Reich errichtet. Heute Nachmittag haben wir dort der Opfer gedacht und einen Kranz niedergelegt. Und ebenso ist auch diese Gedächtnis-Kirche ein symbolischer Ort, der mit seiner Geschichte und seinem Namen für unser Andenken einen öffentlichen Raum bietet.

Es ist in Deutschland auch nicht die Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft gewesen, die uns bisher diesen Raum zum Gedenken verweigerten. Es war die Politik. Der Deutsche Bundestag hat erst im 101. Jahr die Ereignisse im Osmanischen Reich als Genozid anerkannt. Erst dies hat es ermöglicht, dass der Völkermord nicht mehr zum Gegenstand einer „Debatte“ gemacht werden kann.

Mit der überfälligen Anerkennung der Verbrechen als Völkermord ist die deutsche Politik aber nicht aus der Pflicht genommen. Ihre Aufgabe muss weiterhin sein, entschieden auf eine internationale Anerkennung der Ereignisse hinzuarbeiten, ein Zeichen gegen die Leugnung dieser Ereignisse zu setzen und damit der Erinnerung einen gesicherten politischen Raum zu eröffnen. Dieser Raum kann sich in Jahresbericht 2018 13 verschiedenen Formen äußern: ein feierliches Andenken im Deutschen Bundestag, Erarbeitung und Verabschiedung eines Gesetzes, welches die Leugnung des Genozids unter Strafe stellt, und die Erwähnung des Völkermordes in den staatlichen Schulgeschichtsbüchern und damit seine Behandlung im Geschichtsunterricht.

Dieser Einsatz wäre auch aus sich heraus eine Notwendigkeit, damit Deutschland – als Beobachter immer der Ereignisse bewusst und als Verbündeter direkt am Geschehen beteiligt – sich mit seiner Rolle im Völkermord auseinandersetzt. Denn Deutschland trägt, wie kein anderes Land, eine besondere historische Verantwortung: Als Bündnispartner des Osmanischen Reiches während des Ersten Weltkriegs und aufgrund der politischen Haltung des Deutschen Reiches, das während des Völkermords nicht versuchte die Vernichtung der Aramäer, Armenier und Griechen zu verhindern, sondern diese Verbrechen duldete.

Als Nachfahren der Überlebenden, die in der Bundesrepublik eine Heimat gefunden haben und Staatsbürger geworden sind, wünschen wir uns diese politische Aufarbeitung der Ereignisse. An diesem Gedenktag wollen wir dieses historische Ereignis mit der Weltgemeinschaft teilen. Wir sind es den Opfern schuldig, dass das Martyrium, das sie erleiden mussten, nicht vergessen wird. Ich danke allen Anwesenden, Freunden, Partnern und Interessierten, mit denen wir gemeinsam diesen Gedenktag, dem 15. Juni, in der Öffentlichkeit begehen.

Vor 103 Jahren erreichte an diesem Tag die rassistisch-nationalistische Mordwelle der Jungtürken, die am 24. April mit den Festnahmen und der Hinrichtung von mehr als 200 armenischen Intellektuellen, Jahresbericht 2018 14 Politikern und Geistlichen im damaligen Konstantinopel begann, die aramäische Stadt Nisibin. Diese Stadt gilt im kollektiven Gedächtnis der Aramäer als das Zentrum der theologischen Bildung, Wissenschaft und Kultur. Mit der Deportation der letzten aramäischen Bewohner der Stadt im Jahre 1915 und mit der Ermordung des letzten Lehrers war nun mit der Tradition dieser alten Bildungsstätte endgültig gebrochen. Ihre Vernichtung hatte zum Ziel, über unsere physische Existenz hinaus auch unser kulturelles und intellektuelles Dasein auszurotten.

Sehr herzlich möchte ich mich bei allen bedanken, die an dieser Gedenkfeier mitwirken: Beim abwesenden Komponisten Herrn Andranik Fatalov für seine Neukompositionen syrisch-orthodoxer Hymnen für ein Streichquintett. Diese Hymnen „Qro le Aloho, Kadh nofeq“, „Ho qtilu b`Mesren“ und zwei ausgewählte Hymnen von Johann Sebastian Bach „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ und „Die Kunst der Fuge“ werden vom Melen-Quartett gespielt. Ich bedanke mich herzlich bei den Violinistinnen Clarissa Forster-Mommert und Gisela Bender, Bratschistin Katharina Becker, und Cellistin Marika Gejrot. Über die Beiträge des Streichquintetts hinaus wird der syrisch-orthodoxe Chor der Gemeinde Mor Jakob seiner Eminenz beim Andenken musikalisch begleiten. Ich möchte Ihnen meinen Dank dafür aussprechen.

Ich bin sehr glücklich über die Anwesenheit seiner Eminenz Mor Philoxenos Matthias Nayish, Bischof der syrisch-orthodoxen Erzdiözese in Deutschland, der uns heute den Brief des Seligen Patriarchen Mor Ignatius Elias III. vorlesen wird, den er im Jahre 1920 an die Syrisch-Orthodoxe Kirche in Indien gesendet hatte. Geboren in Mardin im Jahr 1867, geweiht zum Bischof für die Diözese Diyarbakir/Amid im Jahre 1908, war Iwanius Elias während des Genozids Bischof der Diözese Mossul. 1917 wurde er zum Patriarchen der Syrisch-Orthodoxen Kirche ordiniert, nachdem der Stuhl für zwei Jahre vakant war.

Herr Markus Tozman von der aramäischen Hilfsorganisation We Are Christians wird uns den Brief auf Deutsch vorlesen. Die Hilfsorganisation wurde nach dem Einfall des IS in Syrien und im Irak gegründet und ist seitdem in diesen Ländern humanitär aktiv.

Ich freue mich über die Anwesenheit von Herrn Burkard Dregger, CDU-Fraktionsvorsitzende des Abgeordnetenhauses Berlin. Ganz neu in Ihr Amt gewählt, wofür wir Ihnen herzlich gratulieren, haben Sie unsere Einladung angenommen. Es ist uns besonders wichtig, dass Sie als Vertreter der Politik anwesend sind und eine Ansprache halten.

Besonders herzlich bedanken möchte ich mich bei Prof. Dr. Mihran Dabag, der heute die Festrede halten wird. Mihran Dabag ist der Direktor des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der RuhrUniversität Bochum. Vor 24 Jahren von Dir gegründet, ist das Institut bis heute die einzige wissenschaftliche Einrichtung in Deutschland, die sich gezielt mit strukturvergleichenden Forschungen zu kollektiver Gewalt und Völkermord beschäftigt. Die Ursachen und Mechanismen von Völkermord sowie seine Auswirkungen auf die Gemeinschaften, die nach der Erfahrung von Vertreibung und Vernichtung in einem fremden gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld – der Diaspora – leben, sind das zentrale Jahresbericht 2018 15 Forschungsfeld des Instituts. Ferner beschäftigt es sich mit der Forschung zu den traumatischen Folgen von Verfolgung, Gewalt und Genozid, sowie mit den Fragen des kollektiven Gedächtnisses und kollektiver Erinnerung.

Diese national und international renommierte Wissenschaftseinrichtung hat nicht zuletzt zur politischen Anerkennung des Genozids durch den Bundestag beigetragen und ist die wissenschaftliche Anlaufstelle für die deutsche Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit in den Fragen zu Genozid. Ich danke Dir, lieber Mihran, für all das und freue mich auf deine Festrede. Bedanken möchte ich mich schließlich bei den Verantwortlichen der Gedächtniskirche, die uns zum wiederholten Male für diesen wichtigen Tag dieses besondere Gotteshaus als Ort des Gedenkens zur Verfügung zu stellen.