VI. Symposium „Suryoye l-Suryoye“

Seit dem aktuellen Sommersemester 2013 gibt es an der Universität Konstanz eine Forschungsstelle für Aramäische Studien. Sie ist im Fachbereich Geschichte und Soziologie an der Professur für Geschichte der Religionen von Prof. Dr. Dorothea Weltecke angesiedelt. Vom 28. bis 30. Juni 2013 fand nun mit dem VI. Symposium in der Reihe „Suryoye l-Suryoye“ die erste Veranstaltung der neuen Forschungsstelle statt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen zu der internationalen und multidisziplinären Konferenz zusammen, um Linguistik, Religion, Kultur und Geschichte des aramäischen Lebens zu bearbeiten.

Die Vorträge am Kongress behandelten vier verschiedene Themenbereiche, die unsere Gemeinschaft aktuell betreffen.

Verschriftlichung des gesprochenen Aramäisch

Nach den Begrüßungsworten durch Prof. Dr. Dorothea Weltecke von der Forschungsstelle für Aramäische Studien und Zeki Bilgic im Namen der NISIBIN – Stiftung für Aramäische Studien begann die Tagung mit dem I. Panel, das sich mit der Thematik der Sprache und Schrift auseinandersetzte.

Seine Eminenz Mor Polycarpus Dr. Augin Aydin zählte in seinem Vortrag »»ܡܽܗ̄ܘ ܒܝܬܐ ܠܽܗ̄ܘ ܒܝܬܐ ܕܺܗ̄ܝ ܨܠܘܬܼܐ؛ ܗ̄ܘܽ ܣܘܪܰܝܬ ܒܺܗ̄ܝ ܥܕܬܐ«« [Mu bayto lu bayto di Ṣluṯo: U surayt bi cito] die Übersetzungsarbeiten der Liturgiebücher in den letzten 20 Jahren in das gesprochene Aramäisch auf und betonte die positive Einstellung des Klerus und der Laien zur Verschriftlichung des gesprochenen Aramäisch in der Kirche.

Daran angelehnt war die Darstellung von Prof. Dr. Abdul-Massih Saadi aus Chicago » ܕܰܪܒܐ ܠܽܗ̄ܘ ܣܘܪܝܝܐ ܕܛܘܪܥܒܕܝܢ ܕܩܳܝܰܡ ܠܚܰܝ̈ܐ ܘܠܽܗ̄ܘ ܣܘܪܝܝܐ ܕܐܘܪܗܝ ܦܳܝܰܫ ܒܚܰܝ̈ܐ«« [Darbo lu suryoyo d’Tur Cabdin dqoyam lḥaye w du suryoyo d’Urhoy dfoyaš bḥaye], der aber leider aus Krankheitsgründen nicht anreisen konnte, und der Vortrag von Zeki Bilgic » ܗ̄ܘܽ ܠܶܫܢܐ ܡܷܐ ܕܷܟܬܼܺܝܘ ܗܰܘܺܝ ܟܬܼܳܒܳܢܝܐ، ܣܘܪܰܝܬ ܒܷܟܬܼܰܘܬܐ ܗ̄ܝܺ ܐܳܪܬܳܓܪܰܦܺܝ ܕܢܝܨܝܒܝܢ«« [U lešono më dkṯiw hawi kṯobonoyo: Surayt bkṯawto – I ortografi d`NISIBIN]. Zeki Bilgic, Semitist und Übersetzer von Belletristik ins gesprochene Aramäisch, fragte in seinem Vortrag, warum die Versuche zur Verschriftlichung des gesprochenen Aramäisch in der Vergangenheit gescheitert sind und warum im Gegenwart trozt einiger Übersetzungen und Veröffentlichungen die Verschriftlichung nicht angenommen wird. Der Grund dafür, so der Referent, sei die Einbettung der Verschriftlichung in ein ideologisches Konzept. Gegenwärtig wird die Diskussion mit exonymen Bezeichnungen, die direkt in unsere eigene Sprache übertragen werden, geführt, was wiederum eine Ideologisierung mit sich zieht und die Ablehnung der Verschriftlichung durch die Gesellschaft zur Folge hat. Der Referent forderte daher ein Umdenken in der Debatte. Die Akzeptanz des gesprochenen Aramäisch als Schriftsprache werde nur erfolgen können, wenn die Diskussion sachlich und frei von Polemik geführt wird.

Dr. Sebastian Bednarowisz aus Bydgoszcz, Polen, trug mit seinem Vortrag Überlegungen vor, worin der Beitrag der Leteinisierung der Schrift bestehen kann. Dabei macht er auf einige anderen Sprachen aufmerksam, sie sich für die lateinische Schrift entschieden haben.

Identität durch Wandel und Begegnung

Die Teilnehmer konnten außerdem Vorträge zum Schwerpunkt „Identität durch Wandel und Begegnung“ hören. Benjamin Be Djallo referierte über „Die Änderung des türkischen Familiennamens zurück zum traditionellen, aramäischen Familiennamen“. Er legte dar, warum es richtig und sinnvoll ist, dass die in der Diaspora lebenden Aramäer ihren türkischen Familiennamen aufgeben und den aramäischen Familiennamen annehmen sollten. Benjamin Be Djallo, der sich als Jurist gemeinsam mit dem Bundesverband der Aramäer in Deutschland für die Anerkennung der ursprünglichen Familiennamen in den deutschen Behörden engagiert, referierte gleichfalls über die neueste Entwicklung dieser Problematik. Zusammenfassend sagte er: Es deutet sich an, dass die Bundesregierung die entsprechende Verwaltungsvorschrift zum Namensänderungsgesetz derart ergänzt, dass für die Aramäer eine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Namensänderung geschaffen wird. Das würde rechtliche Klarheit und Sicherheit bedeuten, die unterschiedliche und überwiegend negative Rechtsprechung wäre damit Vergangenheit.

Dr. Kees den Biesen, Privatgelehrter in Literaturwissenschaft, Philosophie und Theologie, an der Fakultät der antiken Sprachen der Universität von Pretoria, Süd-Afrika, hatte das Thema „Suryoyo-sein im globalen Zeitalter: einige Denkansätze aus den Werken Mor Ephrems des Syrers“. Ausgehend von der Komplexität und Fluidität des Konzepts ‚Identität’ in der globalisierten Welt erläuterte Dr. Biesen das Konzept mit Beispielen aus dem täglichen Leben der Suryoye. Er beschrieb die kulturelle, ökonomische, soziale und politische Umwelt, in der die Suryoye ihre persönliche und kollektive Identität neu zu konstruieren versuchen. Dabei wurde hervorgehoben, dass ‚Identität’ und ‚Identitätskonstruktion’ ein Herausforderung für jeden Menschen darstelle. Kees den Biesen schaffte in seinem Vortrag mit einer kurzen Darstellung des von Mor Ephrem entwickelten Denksystems, das zugleich künstlerisch, philosophisch und theologisch ist, eine Brücke zur heutigen globalisierten Welt, und hob die Arbeit des Mor Ephrem hervor, die wichtige methodologische Ansätze zur Analyse von einigen fundamentalen Herausforderungen unserer Zeit bietet. Der Vortrag endete mit dem Verweis, dass Mor Ephrems Denken den Suryoye bei der Bewältigung ihrer heutigen Identitätsfrage unentbehrliche Leitfaden und Inspiration bietet.

Simon Birol, Theologie-Student an der Universität Münster, hatte das Gedicht Jakob von Sarug „Gedicht über den Fall der Götzenbilder“ zum Thema. In seiner Homilie bietet Yakub von Sarug, der in dem Gebiet des früheren Reich der Osrhoene beheimatet war, Einblicke in eine multi-kulturelle und -religiöse Region, in der pagane, jüdische und verschiedene, miteinander in Konflikt stehende, christliche Gruppierungen Seite an Seite lebten.

Gewohnt geistreich zeigte Prof. Dr. Michael Abdalla aus Poznan, Polen, in seinem Vortrag ܡܘܟܠܐ ܘܺܗ̄ܝ ܡܪܕܘܬܐ ܕܽܗ̄ܘ ܡܘܟܠܐ ܒܰܗ̄ܐ ܡܬ̈ܠܐ ܥܰܡܳܝ̈ܐ ܒܽܗ̄ܘ ܠܶܥܙܐ ܥܪܒܝܐ ܕܰܗ̄ܐ ܗܰܙܟܼܳܝ̈ܐ«(Food and food culture in proverbs of Arabic-speaking Syriacs of Azakh), was durch die Sprichwörter an Kenntnisse über die Identität gewonnen werden können.

Aramäer im Arabischen Frühling

Bevor es zur öffentlichen Podiumsdiskussion „Syrien im Umbruch. Hat die Pluralität eine Zukunft?“ kam, gab es zwei einführende Vorträge, die die Auswirkungen des Konflikts und deren Berichterstattung in der digitalen Welt anhand der syrischen Christen – Aramäer durchleuchteten. Die Bachelor-Studentin am Orientalischen Seminar der Universität Zürich Alfreda Eilo zeichnete in ihrem Vortrag „Islamisches Recht im Arabischen Frühling: Rechtsfortbildung und die Konsequenzen für christliche Minderheit im islamisch geprägten Staaten“ ein düsteres Szenario nach einem Sturz vom Präsidenten Bashar Al-Asaad. Die Referentin Anja Türkan fragte sich in ihrem Vortrag, ob „Social Media ein Leitmedium der Aramäer im syrischen Bürgerkrieg?“ sein kann. In den westlichen Massenmedien werde über die Entwicklungen im Land zwar ausführlich berichtet, aber außer in der zumeist christlich orientierter Presse werde über die tatsächliche Lage der syrischen Christen in Syrien nur wenig in Erfahrung gebracht. Selbst in Social Media, die aufgrund ihrer Strukturen ein offene Plattform für Fotos, Videoclips sowie Kommentare bitten, um diese Informationslücke zu schließen, bleiben weitgehend unbenutzt, so die Referentin Anja Türkan.

Anschließend begann die öffentliche Diskussionsrunde „Syrien im Umbruch. Hat die Pluralität eine Zukunft?“, die in der Ortspresse angekündigt war, und von vielen Bürgern in Konstanz in Anspruch genommen wurde. Die Zuhörer durften eine sehr lebhafte und kontroverse Debatte erleben, welche von Dr. Handan Aksünger, Ethnologin aus Berlin moderiert wurde. In der Frage welche Position der Westen für die sofortige Waffenruhe einnehmen sollte, vertraten der Konstanzer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Seibel und der Vorsitzende des Bundesverbandes der Aramäer in Deutschland Daniyel Demir eine entgegengesetzte Meinung, die den Zuhörern vom internationalen Parkett bekannt waren. Der Publizist und Ökumene-Beauftragter der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Berlin, Amill Görgis, sowie die Studentin Alfreda Eilo machten vehement auf das Leiden und Aussichtslosigkeit der Minderheiten (syrische Christen/Aramäer, Nusairier und Schiiten), sowohl gerade im Krieg und als auch einem möglichen Sturz Asaad aufmerksam.

Die Tagung als Anlass genommen diskutierte die Gastgeberin Prof. Dr. Dorothea Weltecke in ihrem Vortrag Forschungsperspektiven, die in der Forschungsstelle für Aramäische Studien untersucht werden könnten. Sie warf in ihrem Vortag „Syrische Christen in den Städten: Herausforderungen für die Sozial- und Kulturgeschichte“ verschiedene Fragen auf: Wo überall lebten aramäisch sprechende Christen? Lassen sich die Städte kategorisieren? Was wissen wir über das Leben von Christen in der Stadt überhaupt, ihre Teilhabe an Politik, Wirtschaft und sozialem Leben?

An der Tagung hatten die Teilnehmer die Gelegenheit zwei laufende Projekte über die Aramäische Studien kennenzulernen. Die Stifterin der NISIBIN Dr. Selva Can präsentierte die Onlineausstellung „3000 Jahre Aramäisch – Kulturschätze Berliner Sammlungen“, die von der „Stiftung zum Erhalt und zur Förderung des aramäischen Kulturerbes“ organisiert wurde. Diese virtuelle Ausstellung verdeutlicht die kulturhistorische Bedeutung der aramäischen Sprache als eine der ältesten noch gesprochenen Sprachen der Menschheitsgeschichte und bekräftigt ihre unbedingte Erhaltenswürdigkeit. Es werden Fotos von Schätzen der Berliner Sammlungen aus der Staatsbibliothek, dem Vorderasiatischen Museum und dem Ägyptisches Museum und Papyrussammlung in einer so noch nicht gezeigten Zusammenschau präsentiert und damit überzeugend die kulturhistorische Bedeutung des Aramäischen dargestellt.

Ass. Prof. Dr. Aho Shemunkasho informierte die Teilnehmer über den Stand der Errichtung der „syrisch-theologischen Studien“ an der Universität Salzburg. Das Ziel ist die Ausbildung von Priestern und Lehrern nach der syrischen Theologie für die aramäische Gemeinden in ganz Europa.

Die Forschungsstelle für Aramäische Studien an der Universität Konstanz wird von der Stiftung für Aramäische Studien getragen. In Deutschland besteht eine über 500-jährige Forschungstradition zur Sprache und Theologie dieser Gemeinschaft. Neu ist an der Konstanzer Forschungsstelle, dass sie in der säkularen Geschichtswissenschaft und der Soziologie angesiedelt ist und sich aus dieser Perspektive mit der Geschichte und Kultur dieser Gemeinschaft beschäftigt. In dieser Hinsicht ist die Forschungsstelle in Deutschland/Weltweit ein einmaliges Projekt.