Hearing zur Lage der aramäischsprachigen Gemeinschaft (syrische Christen) im Irak und in Syrien (21.–26.11.2014)

von Ralph Barczok

Der erste Teil des Hearings fand vom 21.–23. November 2014 in der Alt-Katholischen Christuskirche St. Konrad in Konstanz statt. Ziel der Veranstaltung war es, die religiösen Oberhäupter der aramäischsprachigen Gemeinschaft im Irak und in Syrien und Wissenschaftler, die sich mit der Religion und der Politik des Nahen Ostens beschäftigen, mit der Öffentlichkeit ins Gespräch zu bringen. Zu dieser außergewöhnlichen interkonfessionellen Veranstaltung waren die höchsten Vertreter dreier syrischer Kirchen aus Mosul und Damaskus in die Konzilstadt Konstanz gekommen. Die Christuskirche als Tagungsort bot einen angemessenen Rahmen, um die aktuellen Entwicklungen offen zu diskutieren, die Einschätzungen und Wünsche der Betroffenen anzuhören und mit den Zielen gegenwärtiger deutscher Außenpolitik zu vergleichen. Renommierte Wissenschaftler haben aus ihrer Perspektive die aktuelle Situation in Deutschland sowie die Hintergründe des politischen und militärischen Erfolgs islamistischer Gruppen beleuchtet und mit den Vertretern der Kirchen und der Öffentlichkeit erörtert.

Das Hearing begann am Freitagabend mit einem Friedensgebet für die verfolgten Minderheiten im Irak und in Syrien. Gestaltet wurde es vom Gastgeber der Veranstaltung, Dekan Hermann-Eugen Heckel von der Alt-Katholischen Kirche und der Schola seiner Gemeinde. Während der im Mittelpunkt stehenden Fürbitten erinnerte Amill Gorgis, Stiftungsrat der Stiftung für Aramäische Studien, in einer bewegenden Ansprache an die vielen Opfer des Konfliktes. Als Zeichen der Solidarität entzündete man Kerzen für verschiedene von der Verfolgung betroffene Städte wie Ma’lula und Mosul.

Das eigentliche Hearing begann am Samstagmorgen mit einer Begrüßung von Frau Prof. Dr. Dorothea Weltecke, Professorin für die Geschichte der Religionen und Leiterin der Forschungsstelle für Aramäische Studien im Fachbereich Geschichte und Soziologie, und einem Grußwort von Frau Prof. Dr. Silvia Mergenthal, Prorektorin der Universität Konstanz. Anschließend begrüßten Mor Philoxenus Mattias Nayis, Erzbischof der Syrisch-Orthodoxen Diözese Deutschland, Herr Dr. Mohammed Badawi von der muslimischen Gemeinde Konstanz, Frau Hiltrud Schneider-Cimbal, Dekanin der Evangelischen Gemeinde Konstanz, und schließlich Herr Dr. Emanuel Jacop, Vorstandsvorsitzender der die Forschungsstelle tragenden Stiftung für Aramäische Studien, die Anwesenden. Prof. Dr. Thomas Schirrmacher übermittelte besondere Grüße vom griechisch-orthodoxen ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. und vom römisch-katholischen Papst Franziskus.

Prof. Dr. Dr. Hubert Kaufhold begann die wissenschaftlichen Vorträge mit einer knappen Einführung in die Entstehung und die Geschichte des christlichen Orients, wobei er einen Schwerpunkt auf die Geschichte der syrischen Christen legte. Zum Schluss ging er kurz auf die aktuelle Situation der Forschung in Deutschland ein, wo die Lehrstühle, die sich mit der Erforschung des christlichen Orients beschäftigen, nach und nach verschwinden oder schon verschwunden sind. Dr. Eleanor Coghill, Semitistin im Exzellenzcluster der Universität Konstanz und assoziierte Wissenschaftlerin an der Forschungsstelle für Aramäische Studien skizzierte im nächsten Vortrag die Entwicklung der aramäischen Sprache, die man 3000 Jahre zurückverfolgen kann. Insbesondere die aktuelle Situation im Südosten der Türkei und im Norden des Iraks stand im Vordergrund. Dr. Gabriel Hanne stellte in seinem Vortrag die theoretischen Grundlagen der islamistischen Bewegung des 20. Jh. vor. So werde die islamistische Bewegung von dem Grundgedanken geleitet, ihre Form des Islams sei die „authentische“, und die weltweite Durchsetzung dieser Form mit gewaltsamen Mitteln sei göttlich legitimiert. Er ging des Weiteren darauf ein, dass diese Bewegung im Islam bereits in der Vergangenheit immer wieder auftauchte, historisch also ein wiederkehrendes Phänomen sei. Prof. Dr. Thomas Schirrmacher trug in Vertretung seiner erkrankten Frau deren Beitrag vor. Die Frage, wie die aktuelle Situation im Nahen Osten entstehen konnte, erklärte er in erster Linie mit innerislamischen theologischen Problemstellungen. Insbesondere die Unmöglichkeit einer Trennung von Staat und Religion im Islam sowie die aktuelle Vakanz des Kalifentitels seien der Kern des Problems. Dies führe zu einer Konkurrenz verschiedener Staaten und Institutionen, sich als beste Schutzherren des Islams zu etablieren. Schließlich ging Prof. Dr. Wolfgang Seibel in seinem Vortrag auf die Rolle ein, die Deutschland bisher im Syrienkonflikt spielte. Er schätzt diese Rolle eher gering ein, wobei er bemängelte, dass die deutsche Außenpolitik versäumt habe, ihre bisher gute Beziehung zu Russland einzusetzen. Russland gehöre zu den wenigen Ländern, die tatsächlich Druck auf die syrische Regierung ausüben könnten.

Schließlich begannen am Nachmittag die geladenen Würdenträger dreier Syrischer Kirchen, der Patriarch der Melkitisch-Katholischen KircheMor Gregorius III. Laham, Patriarchalsekretär der Syrisch-Orthodoxen KircheMor Dionysius Jean Kawak, der Gesandte des Patriarchen der Heiligen Apostolischen und Katholischen Assyrischen Kirche des OstensMar Odisho Oraham und der Erzbischof der Syrisch-Orthodoxen Kirche der Diözese Mosul Mor Nikodimus Daoud Sharaf ihre Sicht der Dinge darzustellen. Den Beginn machte Mor Nikodimus Daoud Sharaf. In einem bewegenden Vortrag berichtete er von der Übernahme der Stadt Mosul durch den IS. Die Christen seien vor die Wahl gestellt worden, zu konvertieren, eine hohe Kopfsteuer zu zahlen, zu fliehen oder zu sterben. 160.000 Christen machten sich auf den Weg, vor allem ins benachbarte irakische Kurdistan. Gemeinsam mit den anderen Kirchen habe man es inzwischen geschafft, Hunger und Wohnungsnot zu besiegen, obwohl die irakische Zentralregierung eher im Weg stehe. Als nächste Maßnahme versuche man nun genug Schulplätze für die Kinder einzurichten. Er forderte vom Westen, eine Schutzzone einzurichten, um zumindest eine Rückkehr in die Ninive-Ebene zu ermöglichen, da eine Rückkehr nach Mosul zu den ehemaligen muslimischen Nachbarn aufgrund des zerstörten Vertrauens nicht mehr möglich sei. Der Gesandte des Katholikos-Patriarchen der Assyrischen Kirche des Ostens, Erzbischof Mar Odisho Oraham, stellte seine Sicht der schwierigen Situation der Christen im Nahen Osten dar. Die syrischen Christen seien in der Vergangenheit immer Opfer zwischen den Fronten gewesen. So litten sie besonders unter den Kreuzzügen im Mittelalter. Auch heute stünden sie zwischen den Interessen der muslimischen Mehrheitsgesellschaft und westlichen Mächten. So mussten vor allem sie unter dem Ausspruch Präsident Bushs leiden, er führe einen Kreuzzug gegen Saddam Hussein. Oraham nimmt daher auch den Westen in die Pflicht, in der aktuellen Situation zu helfen. Der Gesandte des syrisch-orthodoxen Patriarchen, Mor Dionysios Jean Kawak, berichtete zunächst von den Besuchen des Patriarchen bei den Flüchtlingen in Syrien und im Irak, bevor er die Frage erörterte, welche Zukunft und Perspektiven im Nahen Osten für die Christen existierten. Im Nordirak sieht er vor allem die Möglichkeit einer eigenen Provinz für die Christen oder eines Anschlusses der Ninive-Ebene an die kurdische Provinz des Iraks. In Syrien hingegen werde eine Verbesserung der Situation nur durch starke säkulare Regierungen im Staat und in den einzelnen Städten zu erreichen sein. Vor allem sieht er auch die Muslime in der Pflicht. Die Mehrheit der Muslime dürfe nicht schweigen, sondern müsse Druck auf den IS ausüben. Ebenso sieht es der Patriarch der melkitisch-katholischen Kirche Gregorius III. Laham. Er betont die Bedeutung des Zusammenlebens von Christen und Muslimen für beide Religionen, denn „ein Teil des Islams ist christlich und ein Teil des Christentums muslimisch“. Die Christen im Orient müssten bleiben, damit sie dem Islam helfen könnten, eine Alternative zu Ideologien wie den IS zu bilden. Nur wenn die Muslime untereinander Frieden schlössen, könnten die Christen im Frieden leben, da die Christen die Opfer zwischen den Fronten der Muslime seien. Der Frieden im Nahen Osten müsse daher ein gemeinsames christlich-muslimisches Projekt sein.

In der Podiumsdiskussion am Abend zwischen Dr. Coghill, der Initiatorin eines von mehreren westlichen Aramaisten unterschriebenen und in verschiedenen europäischen Presseorganen veröffentlichten Appells zum Schutz der aramäischsprachigen Gemeinschaft, Johny Messo, dem Vorsitzenden des Weltrates der Aramäer (World Council of Arameans), Mor Nikodimus Daoud Sharaf, Erzbischof der Diözese Mosul, Prof. Dr. Schirrmacher, Botschafter für Menschenrechte der weltweiten evangelischen Allianz und dem Moderator Gabriel Hanne wurde vor allem die Frage erörtert, ob und wie schnell eine Sicherheitszone im Irak eingerichtet werden könne. Prof. Schirrmacher und Messo waren sich darin einig, dass eine solche Sicherheitszone nur eine kurzfristige Lösung sein könne und sie in einen eigenen Staat übergehen müsse, zumindest aber in eine Provinz. Der Erzbischof von Mosul betonte, dass ohne die verbindlichen Schutzzusicherungen der westlichen Staaten keine Rückkehr der Christen in ihre Heimat gewagt werden könne. Aus dem Zuschauerraum kamen jedoch auch Bedenken, ob eine von westlichen Kräften eingerichtete Sicherheitszone Bestand haben würde und ob daher nicht stärker auf einheimische Kräfte gesetzt werden müsse, wenn ein Frieden dauerhaft erreicht werden solle.

Am Sonntag wurde das Hearing mit einem ökumenischen Friedensgebet mit den anwesenden hohen Würdenträgern abgeschlossen. Man gedachte der verfolgten Christen in Syrien, im Irak und überall. Der Gastgeber Dekan Heckel erinnerte nochmal an das Gehörte, die Leiden, die Wut und die Hoffnungen. Mit einem Schlusssegen auf deutsch und auf aramäisch wurden die Anwesenden schließlich entlassen.

Nach der dreitägigen Tagung in Konstanz vom 21. bis zum 23. November 2014 wurde das Hearing bis zum 26. November 2014 in Berlin fortgeführt. Dieser Teil des Hearings bestand aus zahlreichen Gesprächen mit verschiedenen Politikern und Vertretern der Bundesregierung, darunter dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller und dem Bundesaußenminister Dr Frank-Walter Steinmeier. Zu diesem politischen Teil des Hearings in Berlin durfte die Forschungsstelle Seine Heiligkeit, den Patriarchen der Syrisch-Orthodoxen Kirche Moran Mor Ignatius Afrem II. begrüßen.

Mit einem apostolischen Besuch, den der Patriarch der Syrisch-Orthodoxen Kirche Moran Mor Ignatius Afrem II. mit seinem Bischof der Diözese Deutschland Mor Philoxenus Matthias Nayis und anderen Bischöfen aus dem Irak und Syrien am 25.11.2014 den syrisch-orthodoxen Gemeinden in Berlin abstattete, ging das Hearing zur Lage der aramäischsprachigen Gemeinschaft in Irak und in Syrien zu Ende.