Begrüßungsrede der Prorektorin der Universität Konstanz Prof. Silvia Mergenthal zur feierlichen Eröffnung der Forschungsstelle für Aramäische Studien an der Universität Konstanz am 15. April 2013.

Die Kultur und die Geschichte der Aramäer stellen einen der ältesten Stränge nicht nur der christlichen, sondern auch der morgenländischen Kultur dar. Europa und der arabische Raum werden heute zwar oft in einem Atemzug genannt, aber nicht, um das Gemeinsame zu beschreiben, sondern um damit wie selbstverständlich die Unterschiede von Kultur und Geschichte dieser beiden Regionen zu benennen. Dabei haben Orient und Okzident einen gemeinsamen Ursprung: Die Welt des Mittelmeeres und dessen weites Hinterland, das drei Kontinente berührt und verbindet. Mit ihrem Bezug auf das Volk gleichen Namens sind die Aramäer der lebendige Beweis für den gemeinsamen Ursprung unserer Kulturen – einen gemeinsamen Ursprung, der bis in die Zeit vor der Spaltung von Orient und Okzident, bis in die Zeit vor der Spaltung Ost- und Westroms zurückreicht. Deshalb sind die aramäische Kultur, Religion und Literatur so unendlich wertvoll für unsere Gegenwart. Nicht nur für religiöse Menschen, sondern für das gesamte kulturelle Erbe unserer Zivilisation ist es ein großes Glück, dass eine Gemeinschaft noch immer die Sprache von Jesus Christus bewahrt und benutzt.

Trotz ihrer friedlichen Botschaft wurden die Aramäer, Angehörige der syrischen Kirchen, in den vergangenen Jahrhunderten oft verfolgt und sind dauerhaft bedroht und leben heute überwiegend in der Diaspora verstreut. Auch heute ist der Bestand der Gemeinden im Nahen Osten gefährdet, sei es durch die Sicherheitslage im Irak und in Syrien, sei es durch die kritische Lage der Religionsfreiheit in der Türkei. Alleine in der Bundesrepublik Deutschland haben heute ca. 100 000 Aramäer. Sie haben hier eine neue Heimat gefunden, mit der sie sich stark identifizieren. Angesicht dieser Situation gilt es, das Erbe der aramäischen Kultur zu wahren und zu schützen – damit das kostbare Erbe nicht nur bewahrt, sondern auch in Zukunft gelebt werden kann.

Das Gemeinschaftsleben der Aramäer ist traditionell insbesondere über die Kirchengemeinden organisiert. Erst in jüngerer Zeit sind neben den Kirchengemeinden Initiativen entstanden, die sich der Aufarbeitung und Bewahrung von Geschichte, Sprache und Kultur der Aramäer widmen. Die im Jahr 2009 gegründete „Stiftung für Aramäische Studien“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Grundlagen für eine wissenschaftliche Erforschung von Geschichte und Gegenwart der Aramäer zu schaffen und hat einen Antrag auf die Errichtung einer von ihr finanzierten Forschungsstelle im Fachbereich Geschichte und Soziologie unter der Leitung von Frau Prof. Dorothea Weltecke gestellt.

Bei der Errichtung der Forschungsstelle sieht sich die Stiftung für Aramäische Studien in der jahrhundertealten Tradition der Semitistik und Syrologie, also der Sprache und Theologie dieser Volksgruppe, an den deutschen Universitäten, welche jedoch spätestens seit den Bologna Reformen als Orchideenfächer vernachlässigt werden. An den deutschen Universitäten wird in der Tat gegenwärtig alles Orientalische zurückgedrängt, sodass die Aramäische Studien ein Gewinn für den Studienbetrieb der Universität sind. Als neue Bundesbürger schenken die Stifterinnen und Stifter damit ihrem Land und ihrer Gemeinschaft ein unbezahlbares Gut. Ich kann diese Initiative meinerseits nur begrüßen und bin sehr glücklich, diesen Studien einen Ort an unserer Universität zu geben.