Begrüßungsrede der Leiterin Prof. Dorothea Weltecke zur feierlichen Eröffnung der Forschungsstelle für Aramäische Studien an der Universität Konstanz am 15. April 2013.

Die Stifter, der Vorstand der Stiftung und die Mitglieder des Stifterrates haben uns einen Auftrag gegeben, in Konstanz und von Konstanz aus etwas für die Aramäischen Studien zu leisten. Eine solche private Initiative ist etwas Besonderes. Sie kommt zur rechten Zeit, ja, geradezu im letzten Augenblick. Seit Jahren schließen die Universitäten in Deutschland die Lehrstühle für den Christlichen Orient und konzentrieren sich beim Ausbau in der Orientalistik ganz wesentlich auf die Islamwissenschaft. Die Stiftung hat nicht weniger eine lebensrettende Maßnahme ergriffen.

Ich möchte mich auch bei Erzbischof Mor Polycarpus und Mor Philoxenus besonders für Ihr Kommen danken. Sie sind die wichtigsten Repräsentanten Ihrer Kirche und leisten unermüdliche Arbeit in dieser schwierigen Situation in der europäischen Diaspora. Gleichzeitig sind Sie aber auch Gelehrte, weswegen ich Sie herzlich dazu einladen möchte, uns wieder zu besuchen, um Vorträge über die Theologie und Geschichte der syrisch-orthodoxen Kirche zu halten, bei uns zu sein und unsere Studierende zu inspirieren oder an einem unserer Fellowprogramme teilzunehmen.

Ganz besonders danke ich der Universität Konstanz, da es nicht selbstverständlich ist, dass wir uns hier im Fachbereich Geschichte und Soziologie mit dieser Forschungsstelle ansiedeln dürfen – aus zweierlei Gründen: erstens hat die Universität Konstanz keine orientalistischen Fächer und zweitens ist es überhaupt nicht üblich, dass eine solche Forschungsstelle sich in der Geschichte und der Soziologie niederlässt. Ehrlich gesagt, ist es kein Schade, dass es hier keine Orientalistik gibt. Ich bin überzeugt davon, dass wir gemeinsam zeigen können, dass Orientalistik gerade nicht ein Orchideenfach in einer kleinen, abgelegenen Villa sein muss, wie ich es aus meiner Studienzeit kenne und wie es in den letzten 100 Jahren üblich geworden ist. Im Gegenteil, die Universität Konstanz hat hier eine große Chance: Sie kann durch die Integration der außereuropäischen Forschungsgegenstände in die großen Fächer wie Geschichte und Soziologie zeigen, dass die Beschäftigung damit integral zur politik- und geisteswissenschaftlichen Forschung dazu gehört.

Auch wenn diese Forschungsstellen heute sehr bedroht sind: Seit über 500 Jahren wird an deutschen theologischen Fakultäten und in philologischen Spezialfächern die Kirchengeschichte der syrischen Kirchen, das klassische Syrisch sowie die Theologie erforscht und gelehrt. Das ist eine unverzichtbare Grundlage. Wir könnten noch mehr davon brauchen und ich bin froh über die Tatkraft meines verehrten Kollegen Prof. Pinggéra. Ich bin froh, dass Du heute gekommen bist, und interpretiere Dein Kommen heute als Zusage für weitere Zusammenarbeit.

Aber niemals hat sich bisher die säkulare Geschichtswissenschaft den aramäischen Christen im Besonderen und den östlichen Christen im Allgemeinen in systematischer Weise geöffnet. Nie hat sie Modelle entwickelt, die der Tatsache Rechnung geben, dass das europäische Christentum nur ein kleiner Ausschnitt der transkulturellen christlichen Tradition ist. Nie hat sie die Ergebnisse der Theologie- und Kirchengeschichte in ihre eigenen Argumentationen und Konstruktionen auch nur im Mindesten zur Kenntnis genommen. Noch immer ist die „christlich-jüdische Tradition“ in Deutschland eine allgegenwärtige, populäre Chiffre für europäische Traditionen. Weil das so ist, spielt das aramäische Christentum, die syrischen Kirchen, wie auch die anderen östlichen Kirchen, keine Rolle in unserem politischen und historischen Denken. Sie existieren für uns einfach nicht. Wir denken das östliche Mittelmeer als eine monolithische Welt des Islam. Die Folgen davon können wir täglich im Umgang der westlichen Länder etwa mit Ägypten und Syrien beobachten.

Und deshalb geht es heute und auch in der Zukunft nicht nur darum, etwas für die Aramäischen Studien und ihre Integration in unsere Forschung zu tun. Es geht um Entwicklungshilfe, aber in eine anderen Richtung, als man denken könnte. Es geht auch ganz wesentlich um Entwicklungshilfe für die deutsche historische Forschung und ihre Integration in die große Welt des transkulturellen Christentums. Für die Welt des Christentums wie für die Welt des Islam ist die aramäische Tradition eine der tiefsten und wichtigsten Wurzeln. Wir müssen lernen, studieren, neue historische Modelle entwickeln, Studierende ausbilden, die diese Sachverhalte an die Schulen tragen und die Wahrnehmung verändern, wir europäischen Christen seien allein auf der Welt. Zu danken habe ich, dass Sie alle dazu beitragen, dass wir hier einen Beitrag dazu leisten können.